Solidarität & Widerstand – Stadtteilräte aufbauen!

Liebe Freund*innen,

wir stehen hier heute um das halb fertige und vielleicht schon wieder abrissreife Hafen-Center, welches seit Jahren Anlass für Konflikte mit der Stadt Münster und dem Investoren-Duo Stroetmann ist und sich mittlerweile zum Symbol des Protests gegen eine Stadt der Reichen und Mächtigen entwickelt hat: Zahlreiche Initiativen setzen sich seit Jahren gegen diesen Bau und für ein Hansaviertel im Sinne der Anwohner*innenschaft ein. Bereits vor dem Abriss der Alten Post gab es 500 Einwände der Bewohner*innen des Hansa-Viertels, die gegen das geplante E-Center sprachen. All diese Einwände wurden ignoriert. Alternative Nutzungsvorschläge wurden abgewiesen. Später wurde die Alte Post besetzt, um dort ein soziales Zentrum zu eröffnen, das vor allem der Nachbarschaft dienen sollte. Diese Besetzung wurde während einer friedlichen Party gewaltsam geräumt. Mehrere Demonstrationen und kreative Aktionen brachten die Unzufriedenheit mit dieser Art von Stadtplanung auf die Straße. Nennenswerte Reaktionen gab es keine.

Nun musste der Bau des E-Centers gestoppt werden. Warum? Das Verwaltungsgericht hatte 2018 festgestellt, dass der Bebauungsplan zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen führt, welches Stau, Lärm und erhöhte Abgas-Belastung mit sich bringt. Natürlich ist dieser Baustopp ein Erfolg für all diejenigen von uns, die seit Jahren gegen diese Pläne protestieren und schon lange auf diese Probleme hinweisen. Aber eben: Die Dinge, die nun zum Baustopp geführt haben, waren uns doch schon lange bekannt und einer der Gründe dafür, warum wir das E-Center für eine Scheiß-Idee halten! Der Hafen-Center-Bau scheitert derzeit also an juristischen Fragen. Der Fakt, dass niemand von uns dieses E-Center wirklich haben will, reichte dafür nicht aus. Stattdessen wurden durch den Abriss der Alten Post und den Baubeginn des E-Centers Fakten geschaffen, die unsere Stimmen bewusst ignoriert haben.

In unserem Protest geht es dabei ja auch um viel mehr als um einen Supermarkt mehr oder weniger. In unserem Protest drückt sich auch immer der Wunsch nach einer ganz anderen Stadt, ja: nach einer ganz anderen Gesellschaft, aus. Einer Gesellschaft, in der wir – die Menschen – darüber bestimmen, wie unsere Viertel aussehen sollen, wie und wo wir leben möchten, wie und was wir arbeiten wollen. Einer Gesellschaft, die auf unseren Interessen beruht, ebenso wie auf ökologischen Gesichtspunkten. Einer Gesellschaft, die auf wirklicher demokratischer Entscheidungsfindung von unten und Selbstbestimmung beruht.

Unsere Vision: Rätedemokratie!

Wir von ROSA stellen uns eine solche Gesellschaft in Form einer Rätedemokratie vor, deren Herzstück die gemeinsame Organisierung mit den Menschen in unserer Straße und unserem Viertel ist. Stadtteil-Räte sollen der Ort sein, an dem die Bewohner*innen zusammenkommen um über die sie betreffenden Dinge selbst zu entscheiden und diese dann auch umzusetzen. Nur Entscheidungen, die Auswirkungen auf andere Stadtteile oder Regionen haben, müssen dann auf einer höheren Ebene getroffen werden. Dieses System baut sich somit von unten nach oben auf. Entscheidungsträger der höheren Ebenen können jedoch auch nur im Sinne der Basis in den Stadtteilen entscheiden und jederzeit zurückgerufen werden.

Die Idee einer Rätedemokratie ist nicht neu. In der Geschichte lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen im Zuge von Aufständen und Protesten Rätestrukturen entstanden sind. Von der Pariser Kommune, der Räterepublik in Bayern 1919, über Fabrikbesetzungen und Stadtteilkomitees in Italien in den 70er Jahren, Widerstands-Komitees in der Türkei, Stadtteil-Selbstverwaltungsstrukturen in Italien oder Griechenland im Zuge der Finanzkrise, bis hin zu den Prozessen in Chiapas in Mexiko und Rojava in Nord-Syrien, wo heute auf einer gesamt-gesellschaftlichen Ebene selbstorganisierte Rätestrukturen existieren und weiter ausgebaut werden. Oft entstanden also ähnliche Strukturen und das unter unterschiedlichsten Bedingungen. Die Menschen sagen damit: „Wir wollen selbst darüber bestimmen, wie wir unser Leben führen“ und „Wir können dies gemeinschaftlich mit anderen diskutieren, planen und dann auch umsetzen“.

Jetzt damit beginnen!

Wir denken, dass wir heute nicht auf das Kommen einer solchen Gesellschaft warten können, sondern uns dieser bewusst annähern und dafür bereits Anfänge eben solcher Stadtteil-Räte schaffen müssen. Strukturen, in denen wir uns gemeinsam und organisiert gegen die Dinge wehren können, die uns nicht passen. Gegen Groß-Investoren wie Stroetmann, gegen unsere Arbeitsbedingungen oder gegen die städtische oder staatliche Politik, die viel zu oft im Interesse dieser Investoren oder anderer Lobbyisten handeln. Strukturen, die dazu dienen, uns und unseren Wunsch zu leben zu verteidigen. Mit denen wir letztlich stärker sind, weil wir zusammen stehen und kontinuierlich kämpfen. Strukturen, mit denen wir der Entfremdung und der autoritären Kontrolle kapitalistischer Verhältnisse unsere eigenen direkten Beziehungen entgegensetzen.

In denen wir unsere Interessen direkt ausdrücken können, ohne nötige Vertreter*innen. Strukturen, mit denen wir so nach und nach unseren Alltag solidarisch und kollektiv anders gestalten. So, wie wir uns das vorstellen, und so unser eigenes Zusammenleben im Viertel und in der Gesellschaft organisieren – kollektiv von unten statt vermittelt über den Staat, seine Justiz oder die offizielle Politik. Mit denen der Kapitalismus und seine Art zu wirtschaften letztendlich abgelöst werden kann durch ein System, das auf einer bedürfnisorientierte Ökonomie und gegenseitiger Solidarität beruht.

 

Wir brauchen also eine kontinuierliche Organisierung in unseren Stadtvierteln, die auf Solidarität und direktem Widerstand beruht. Wir nennen diesen Aufbau revolutionäre Stadtteilarbeit und haben in Berg Fidel bereits damit begonnen, durch Befragungen und Gespräche die Themen zu sammeln, die die Menschen bewegen. Wir wollen euch einladen, eine solche Vision gemeinsam mit uns auch in anderen Stadtvierteln aufzubauen. Diese Vision einer Rätedemokratie und einer solidarischen Gesellschaft wird uns nicht geschenkt oder ohne weiteres überlassen werden. Wir müssen dafür kämpfen, wir werden uns verteidigen müssen.

Nur gemeinsam sind wir stark genug! Alle Macht den Räten!